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P. Sokolow. Schlaglöcher

2. Buch. „Die Söldner“

Teil IV. Ritter mit Regenmantel und Dolch

Kapitel 39. Lebwohl, Aljoschka!

„Auf Wiedersehen! Ohne Hände und Worte.
Sei nicht traurig und zieh die Augenbrauen nicht zusammen,
In diesem Leben sterben ist nichts Neues,
Und auch zu leben ist keine Neuerung.“
(S. Jesenin)

Eines schönen Tages teilten sie uns mit, dass die ganze Gruppe in ein anderes Lager verlegt werden sollte – nach „Teichwald“, etwa 4-5 km von Sandberg entfernt. Chodolej und ich zogen los, um uns das Lager anzuschauen und uns über seine Aufnahme vorheriger Bewohner zu erkundigen. Es war ein kleines Lagerchen, das aus nur 3-4 Baracken bestand, die in einem Fichtenwald am Rande eines Teichs lagen, was auch sein Name bezeugt. Allerdings kam es nicht dazu, dass ich dorthin verlegt wurde. Ein – zwei Tage nachdem wir unsere neue Unterkunft besichtigt hatten, unmittelbar nach dem Mittagessen, wurde Chodolej dringend zur Lagerleitung Sandberg gerufen. Er kehrte etwa zehn Minuten später zurück und stammelte dann lange Zeit vor sich hin, bis wir endlich verstanden, was los war. Es stellte sich heraus, dass zwei von uns in aller Eile nach Riga geschickt werden sollten, und zwar zum Hauptkommando Nord. Diese Nachricht löste Verwirrung und Bestürzung aus. Eine Antwort sollte unmittelbar erfolgen. Wir beschlossen Lose zu ziehen, und die erste Runde brachte mir den Sieg. Es war klar, dass die zweite Kandidatur Walch zugesprochen wurde, aber genau da lag der Hund begraben. Hauptmann Semjonow war den beiden „Ajax-Brüdern“ zugeneigt, wobei er sich darauf stützte, dass er im Zusammenhang mit dem Umzug nach Teichwald einen geschickten Wirtschaftsplaner benötigte. Der Versuch, diesbezüglich etwas über den Lagerleiter zu erwirken, war ebenfalls nicht von Erfolg gekrönt. Der war nämlich der Ansicht, dass die Sache in der Kompetenz von Hauptmann Semjonow läge und er nicht das Recht habe, über seinen Kopf hinweg zu handeln. Chodolej kam ebenfalls als Leiter des zukünftigen Lagers nicht infrage. So mußten wir also ein zweites Mal Lose ziehen, und diesmal ging Sosiska-Schechowzow daraus als Sieger hervor.

Die Dokumente wurden noch am selben Tag ausgestellt, und am folgenden Morgen begaben wir uns an den neuen Bestimmungsort. Außer uns beiden verlegten sie auch drei gewöhnliche Soldaten dorthin: Tolja Maschkarzew - ein Veteran der Gruppe „Ulm“, der früher mit in der Schechowzow-Trojka gewesen war, ein gutmütiger und ernsthafter Bursche, Stepan Rudnik – ein Ukrainer, Schachtarbeiter aus dem Donezker Becken, ein Mann von etwa 30-32 Jahren, der aus den Reihen des neuen Nachschubs kam. Stepan war kein schlechter Soldat, aber er trank gern und viel. Niemand hatte ihn je in betrunkenem Zustand gesehen, denn er besaß die Angewohnheit, sich nach der „Einnahme“ in irgendein Gebüsch oder ein anderes, abegelegens Eckchen zu legen und dann so lange auszuschlafen, bis er wieder seinen Normalzustand erreicht hatte. Wer der Dritte war, weiß ich nicht mehr, jedenfalls kam er aus den Reihen der Funker. Unterwegs händigte man uns einiges aus unserem Vorrat an Ausrüstungsgegenständen sowie 350 000 Rubel in sowjetischer Währung aus. Der Abschied von den Kameraden war traurig, aber wie dem auch sei, die Räder begannen auf den Schienen zu rattern, und auf der uns bereits bekannten Route trafen die glorreichen Fünf schließlich in Riga ein, genauer gesagt in Assari, wo sie dann auch vor dem uns ebenfalls schon bekannten Leutnant Greife Aufstellung nahmen. Der Leutnant erklärte uns, dass Schechowzow und ich in den nächsten Tagen, mit gewissen Aufgaben im Gepäck, zu einer der im Hinterland operierenden Gruppen der Sowjet-Armee fliegen sollten, während das zurückbleibende Dreigespann sich auf eine andere, selbständige Aufgabe vorbereiten würde.

Wir brachten unseren ganzen Kram in einen Lagerraum, und dann schickte man uns in ein Örtchen namens Walteri, das, 2 km von Assari entfernt, in einem großen Kiefernwald am Ufer des wasserreichen, still dahinfließenden Flußes Lelupe gelegen war. Um das Kapitel zu beenden füge ich noch hinzu, dass Aljoschka die Dienstreiseerlaubnis nach Riga bekam und uns ausfindig machte. Wir gingen zu Greife und versuchten ihn dazu zu überreden, Walch die Erlaubnis zu erteilen, in unserer Gruppe zu kommen, aber alles war vergeblich. Ich weiß nicht. Ich hatte damals keine Vorstellung davon, was ein sogenanntes „Dossier“ ist, ich erfuhr es erst viel später aus „Spionage“-Filmen. Daher werde ich zwar nicht die Behauptung riskieren, aber dennoch den Verdacht äußern, dass ein solches Dossier auch über uns geführt wurde, und möglicherweise gabe es darin irgendetwas, das gegen unseren gemeinsamen Einsatz sprach. Wie soll man sonst die hartnäckige Weigerung unserem Wunsch, entgegen aller Logik, nachzukommen verstehen, die zeigt, dass in unserer Sache – der Spionageabwehr, doch Hoffnung und Vertrauen gegenüber dem Partner der wichtigste Faktor waren? Aber egal, Walch und ich gingen auseinander, und das anscheinend für immer. Vor seiner Abfahrt redeten wir uns zum letzten Mal noch einmal alles von der Seele. Ich gestand ihm, dass, als ich in Sofia auf den Koffern saß, von ihm eigentlich den Vorschlag zum Bleiben erwartet und ihm das auch gern selber vorgeschlagen hätte, aber ich hatte es aus Stolz oder Kleinmütigkeit nicht getan. Nun, da unsere Pläne zusammengestürzt waren, bat ich ihn inständig darum zurückzukehren, so lange es noch nicht zu spät war, und ich würde allein alles versuchen, was wir zu zweit hätten machen wollen, und falls sich die Pläne verwirklichen würden, dann würde auch ich nach Hause zurückkehren, aber bereits über Rußland. Ich glaubte so fest daran, dass ich ihm ein paar Dinge mitgab, mit der Bitte, sie entweder meiner Mutter auszuhändigen oder sie bis zu unserem Wiedersehen aufzubewahren. Unter diesen „Dingen“ befand sich auch meine „Walter“-Pistole mit einem Vorrat an Patronen. Ich füge noch hinzu, dass ich viele Jahre später die Möglichkeit erhielt eine Suchaktion durchzuführen, bei der mir auch die interessierten Sowjetorgane halfen, aber trotzdem gelang es mir nicht, irgendeine Spur meines treuen Kameraden und Freundes zu finden. Mögen diese Anmerkungen Zeichen meiner dankbaren Erinnerung an diesen Burschen sein.

 

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