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P. Sokolow. Schlaglöcher

2. Buch. „Die Söldner“

Teil IV. Ritter mit Regenmantel und Dolch

Kapitel 44. Das Ende einer dreijährigen Reise.

Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende.

An diesem Tag konnten wir nicht abfliegen, denn das Flugzeug war für die Verlegung einer anderen Gruppe vorgesehen, die von einem Offizier der Wehrmacht begleitet werden sollte, d.h. sie unterstand der Abwehr. Ich hatte die Gruppe schon von weitem gesehen. Zu ihr gehörten drei nicht mehr ganz junge Männer in Zivil. Die Besatzung kehrte früh zurück und berichtete, dass sie in die Nähe von Leningrad geflogen wären. Der nächste Tag zog sich endlos in die Länge. Zuerst packte ich meine persönlichen Sachen um. Dann besorgte ich Geld: es waren 350 Rubel in großen Anteilsscheinen; nachdem ich sie aufgeteilt hatte, händigte ich sie meinen Untergebenen aus und sagte ihnen, dass nicht bekannt sei, wie die Sache verlaufen würde und dass sich möglicherweise jeder allein auf den Weg machen müßte; dazu wäre das Geld dann der erste Nothelfer. Im Kopf ging mir der Gedanke herum, eventuell eine Sprengladung zu organisieren, sie mit Säurezündern auszustatten, die auf einen Zeitraum von 30 Minuten berechnet waren; diese Sprengladung konnten wir nach unserem Absprung im Flugzeug zurücklassen. Eine solche Aktion konnte beim Übertritt zu den Russen Wasser auf unsere Mühlen schütten; aber ich verwarf den Gedanken wieder, weil ich ihn als Gemeinheit empfand gegenüber zwar fremden Leuten, aber immerhin Menschen, mit denen ich in den vergangenen Tagen mein Brot und das Dach über dem Kopf geteilt hatte. Aus unseren gefährlichen Vorräten ließ ich lediglich für alle Fälle eine Handgranate mit leichter Ummantelung mitgehen. Nach dem Mittagessen setzten wir uns zum Kartenspiel mit den Piloten nieder. Wir spielten 17 + 4. Wir hatten unheimliches Glück,und nach kurzer Zeit hatten wir sie bis aufs Hemd ausgenommen. Versteht sich von selbst, dass dieses Geld für uns wertlos war; deswegen gaben wir es ihnen zurück, wobei wir auch unser eigens noch dazulegten. Bei Anbruch der Nacht brachten wir erneut alle Sachen zum Flugzeug. Diesmal nahm ich, außer der Uhr, noch den Kompaß in die Hand, um den Kurs des Flugzeugs verfolgen zu können. Die Stadt Nowgorod, über der wir zwei Tage zuvor unter Flakgeschützfeuer geraten waren, umflogen wir weiträumig.

Die Zeiger der Uhr näherten sich Mitternacht, und da bemerkte ich in der Ferne drei leuchtende Punkte. Schnell waren sie zu hellen Leuchtfeuern angewachsen, und es ertönte das Signal sich zum Absprung bereit zu halten. Einer nach dem anderen ließen die Fallschirmspringer sich aus der Ladeluke fallen. Jedesmal wurde das Flugzeug hochgeworfen, und die Beine gaben unter dem eigenen Gewicht nach. Dann kamen wir an die Reihe. Ich als Kommanduer sprang als letzter. Vor mir gähnte der eisige Abgrund. Ein Schlag auf die Schulter und ein-zwei Sekunden später hörte ich schon das Klatschen des aufgehenden Fallschirms. Es war keine Zeit sich großartig umzuschauen und sich der heftigen Empfindung hinzugeben – wir mußten uns orientieren.

Noch einmal glänzte im Licht des Mondes die bereits winzig klein gewordene Silhouette des Flugzeugs auf. Es schaukelte in der Schwärze des Himmelsgewölbes zum Abschied mit den Flügeln. Unter mir waren klar und deutlich die Fallschirme meiner Kameraden zu erkennen. Mit Hilfe meines Kompasses, aber vor allem des Mondes, versuchte ich ihre und meine Position zu ermitteln und schaute dann auf die Erde.

Anfangs kam sie mir wie eine riesige schwarze Fläche vor, aber dann tauchten Büsche auf, die schnell größer wurden und sich schließlich in Bäume verwandelten. Dazwischen erkannte ich eine Waldlichtung. Ich begann an den Gurten des Fallschirms zu ziehen. Dieser glitt zur Seite, aber bis zur Lichtung schaffte ich es nicht. Vielmehr landete ich, mit dem erhobenen Ellbogen vor meinem Gesicht, auf einer hohen Birke. Der Baum dämpfte den Aufprall; ich kletterte auf den Ästen nach unten und ließ mich weich ins Gras fallen. Den Fallschirm nehmen und ihn zu einem Knäuel zusammenzulegen war eine Sache weniger Sekunden. Danach löste ich in aller Eile die Befestigung der Maschinenpistole und blickte mich um. Guten Zag, russische Erde, ich habe drei Jahre gebraucht, um zu dir zu gelangen!

 

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