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P. Sokolow. Schlaglöcher

III. Buch. „Der Himmel hinter Gittern“. 1944 – 1954

Teil V. Inden Labyrinthendes NKWD

Kapitel 47. Das staatliche Haus

„So schwarz wie das Gewissen eines Bösewichts,
wie das Herz eines Tyrannen,
So schwarz ist die Herbstnacht.
Dunkler als diese Nacht taucht aus dem Nebel
Das drohende Gefängnis auf“.
(Aus einem alten Revolutionslied)

Den ganzen Morgen störte mich niemand, aber nach dem Mittagessen kam der Leutnant, was die explosive Situation ein wenig entspannte. Er sah ein wenig verlegen aus. Er meinte, daß sie uns nicht hierbehalten könnten, sondern uns bis zur Entscheidung über unser Schicksal ins Gefängnis verlegen würden. Im Großen und Ganzen hatte ich das schon erwartet, so daß ich die Nachricht ziemlich ruhig aufnahm. Mit einem PKW der Marke M-1 brachte man mich zu einem unansehnlichen, einstöckigen, langgezogenen Gebäude, das Ähnlichkeit mit einem Pferdestall aufwies, und ließ mich unter vier Augen bei einem heruntergekommenen Onkelchen zurück, das mit einer Wattejacke sowie einer Mütze mit Ohrenklappen bekleidet war. Als erstes veranstalteten sie bei mir eine Durchsuchung. Meine Uniform gaben sie mir zurück, nachdem sie alle Rangabzeichen abgeschnitten hatten; dann brachten sie mich in meine Zelle. Dabei handelte es sich um einen Raum von etwa 2 x 3 Metern, in dem es nichts weiter gab, als eine Schlafstelle und einen Hocker. An der der Tür gegenüberliegenden Wand, ganz oben, befand sich ein kleines, vergittertes Fensterchen, welches von außen durch eine nach unten gebogene Abschirmung verhängt war. Aus dieser Öffnung konnte man noch nicht einmal den Himmel sehen, nicht einmal durch die „Käfigstäbe“ hindurch, und die ganze Zelle lag im Halbdunkel. Wie ein Peitschenhieb wirkte das Krachen der zuschlagenden Tür und das anschließende Knacken des Schlosses.

Mit irgendwie gebrochenem Herzen setzte ich mich auf die dünne, klebrig-schmutzige Matratze und sah mich um. Die Steinwände waren irgendwann einmal geweißt worden, aber jetzt sahen sie schmutzig und abgerieben aus, wohl von den Rücken derer, die schon vor mir hier gewesen waren. Alle möglichen Inschriften waren in die Wände eingeritzt worden; später hatten andere offenbar neue hinzugefügt, dazwischengedrängt, so daß ich sie in dem halbdunklen Raum nicht entziffern konnte. Diese Dunkelheit herrschte in dieser Mönchszelle sowohl tagsüber als auch in der Nacht, wenn eine trübe Glühbirne in der vergitterten Nische über der Tür aufflackerte. Kaum hatte ich mich ein wenig eingerichtet, als jemand anfing, an die Nachbarwand zu klopfen. Ich konnte an diesen Klopfzeichen kein besonderes System erkennen, hätte antworten sollen, aber dann reagierte ich doch nicht, und auch mein unsichtbarer Gesprächspartner gab schließlich auf.

Als mein Sehvermögen mir keine neuen Eindrücke mehr zu verschaffen vermochte, strengte ich mein Gehör an, in dem Bemühen, irgendeine Information über den Verbleib meiner Freunde zu bekommen. Die Stille war deprimierend. Nicht einmal die Schritte des Aufsehers konnte man hören. Später vernahm ich ein ganz leichtes Klopfen und danach das Knirschen eines Riegels, das vom Klappfenster in der Tür herrührte. Das mußte irgendwo nebenan geschehen sein. Der Aufseher murmelte etwas in seinen Bart, und dann hörte icvh eine feine, unnatürliche Stimme. Verstehen konnte man die Worte nicht, aber allein der Klang der Stimme ließ mich erschaudern. Ich befand mich am Rande der Verzweiflung, legte mich auf die schmutzige halbwollene Decke und Decke mich mit meinem Uniformmantel bis über den Kopf zu. Nach einiger Zeit klapperte auf dem Korridor Geschirr; die Essensklappen krachten. Bald darauf erreichte der Lärm auch meine Zellentür, das Türchen wurde geöffnet und eine Tonschüssel mit Essen sowie ein Krug mit kochendem Wasser hineingeschoben.

In der Schüssel befand sich eine Art Suppe aus grünen Blättern mit gesalzenem Fisch. Er konnte diese dünne Brühe nicht hinunterbekommen und kippte sie deshalb in den hölzernen Kübel – den „Abortkübel“, der das dritte Detail des Zellinventars darstellte. Später wurde das Geschirr wieder eingesammelt, und ich legte mich wieder auf meiner Schlafstelle nieder. Man hätte auch „spazieren“ gehen können – 4 Schritte vor, 4 Schritte zurück, entlang der kahlen Wand, aber ich hatte mich noch nicht an alle Kleinigkeiten des Gefängniszeitvertreibs gewöhnt. Erneut klirrte irgendwo Riegel, schlugen Türen zu. Unter den bis zum Flüsterton gedämpften Stimmen, konnte man Sosiskis Baß heraushören; danach versank alles wieder in Grabesstille. Am folgenden Morgen begannen sie uns der Reihe nach zum Abort zu führen, wo wir unsere Notdurft verrichten, den „Kübel“ ausspülen und uns waschen sollten. Der Abort war gekachelt. Im Abfluß des Waschbeckens fand ich ein kleines Seifenbruchstück, mit dem ich ihm die vereinbarten Zeichen auf die Fliesen malte, um Sosiska mitzuteilen, daß ich hier war. Außerdem stellte ich dem Aufseher im Korridor mit lauter Stimme eine Frage. Der zischte mich sogleich an, aber das Wichtigste war getan: man sollte mich hören. Und so verrann in der starren Beschaulichkeit glitschiger Zellenwände ein weiterer Tag.

Am Morgen brachte man mir ein Stück hartes Brot, das eher an feuchte Hobelspäne erinnerte, und zum Mittagessen das bereits bekannte Menu: dunkle Suppe mit Fisch sowie einen Löffel voll flüssigen Brei, vermutlich Hirse. Dieses Mal aß ich meine Portion auf, wenn auch mit Todesverachtung. Etwa um vier Uhr klirrte die Essensklappe erneut, und der Aufseher reichte mir einen ganzen Laib Brot sowie eine Tüte Machorka herein. Das machte mir ein wenig Mut: man hat mich also in diesem Totenhaus nicht vergessen. Ich wollte das großezügige Geschenk mit meinen Kameraden teilen, aber der Aufseher zeigte mir einen Vogel und knallte die Klappe vor meiner Nase zu. Erneut verrannen endlose Stunden. Ich lauschte gierig auf die Geräusche hinter der Tür und versuchte daran zu erraten, was wo geschah. Am Morgen, nach dem Frühstück, holten sie mich aus der Zelle. In einem kleinen Zimmerchen am Ende des Korridors, in dem ein Tisch und eine Bank standen, wurde ich von dem mir bekannten Leutnant erwartet. Er sagte, daß ich mich auf meinen Umzug vorbereiten solle. Allerdings brauchte ich keine Vorbereitungen zu treffen, denn alles, was ich besaß, trug ich am Leib. Ich fragte – wohin? Er verhaspelte sich, aber dann teilte er mir doch im Flüsterton mit, daß man mich nach Moskau berufen würde. Nachdem er die erhaltenen Instruktionen nun schon einmal verletzt hatte meinte er, ohne einen weiteren Versuch des Verheimlichens zu unternehmen, daß das sehr gut sei, daß sich für mich dort die Chance eröffnen würde, mich erfolgreich und wohlbehalten aus den Fesseln zu befreien; und dann erteilte er mir noch einige Ratschläge, wie ich mich zu verhalten hätte. Kurz und gut, wir gingen schließlich fast als Freunde auseinander und drückten einander beim Abschied kräftig die Hand. Zwei Stunden später wurde ich erneut „mit Sachen“ aus der Zelle geholt. Die „Sachen“ bestanden aus einem halben Laib Brot und dem noch ziemlich vollen Machorka-Tütchen. In dem mir bereits bekannten Kämmerchen erwarteten mich ein unbekannter Hauptmann und ein hochgewachsener Sergeant. Ich bekam zwei weitere Laibe Brot ausgehändigt. Ich bat darum, das Brot meinen Kameraden zukommen zu lassen. Der Hauptmann erwiderte, daß sie bereits eine Zusatzration erhalten hätten, daß dieses Brot für mich, für unterwegs bestimmt sei. Da ich nichts besaß, um das Brot zu verstauen, legte der Sergeant es in seinen Reisesack mit der Bemerkung, daß, wenn ich es nicht essen würde, man es zumindest in Moskau für 100-150 Rubel pro Stück verkaufen könnte. Danach stiegen wir in den mir bekannten MK und fuhren zum Bahnhof.

Dort stiegen wir in einen Zug mit einer mir völlig fremden Waggonart um: entlang der Fenster gab es einen Korridor, und außerdem verfügter er über eine Vielzahl offener Abteile. Es waren nur wenige Passagiere vorhanden, zumeist Militärpersonen. Mich wunderte ein wenig die Vielfalt ihrer Ausstattung – sie trugen Tücher von ganz verschiedener Farbe, Schweine- oder Chromledersteifel usw.; all diese Eindrücke fielen uns irgendwie unangenehm ins Auge, uns, die wir in den ausländischen Armeen an strenge, eintönige Uniformen gewöhnt waren. Des weiteren bemerkten wir auch die Demokratie und Einfachheit im Umgang zwischen Offiziere und einfachen Soldaten, die Anspruchslsoigkeit in Bezug auf die Verpflegung: ein aufgerollter und auf einem Stück Zeitag zerschnittener Hering, eine Zwiebelknolle; auch das paßte irgendwie nicht zu der Steifheit und Zimperlichkeit in den Manieren der deutschen Offiziere. Vor diesem Hintergrund hob auch ich mich mit meinem Soldatenmäntelchen und den ungeputzten Stiefeln mich nicht besonders ab, so daß niemeand mir Aufmerksamkeit schenkte. Ich hörte die Gespräche aus dem Nachbarabteil. Besonders der Bericht eines Fliegermajors, der abgeschossen worden, in Kriegsgefangenschaft geraten, geflüchtet und wieder in seine Formation zurückgekehrt war. Diese Erzählung die den Behauptungen der deutschen Propaganda darüber widersprach, daß alle ehemaligen Kriegsegefangenen in der UdSSR erschossen oder eingesperrt werden, flößte mir Hoffnung auf einen Ausweg aus meiner Epopoe ein. Dann wurde „Durak“ („Dummkopf“) gespielt, und sie gaben auch an mich Karten aus. Der Sergeant, der mit uns reiste, war auf dem Weg in den Urlaub; er erzählte von seiner Familie, seinen Problemen. So waren wir die ganze Nacht unterwegs, nachdem jeder sich irgendwo ein Plätzchen auf den Sitzen oder den an der Wand befestigten Schlafbänken gesucht hatte, die ich in den europäischen Zügen, in denen es ausschließlich Sitzplätz gab, nie gesehen hatte. Gegen Morgen näherten wir uns Moskau. Der Hauptmann machte mich auf einen großen Kirchenkomplex aufmerksam, der vom Waggonfenster aus zu sehen war, un berichtete, daß es ein historisches Denkmal sei – das Dreifaltigkeiskloster von Sergijew, das in der Kultur und bei den historischen Ereignissen Rußlands keine geringfügige Rolle gespielt hatte. Nachdem ich einen Teil meines Brotes, ein wenig von dem eingeweckten, geschmorten Fleisch des Hauptmanns sowie ein Stückchen Speck, das mir der Sergeant gab, zum Frühstück verzehrt hatte, machten wir uns zum Aussteigen bereit. Als der Zug sich dem Bahnsteig näherte, traten wir auf die Plattform hinaus. Ich sah mich mit großem Interesse um: das war Moskau – das Ziel meiner Bemühungen. Allerdings präsentierte es sich mir in Form eines ganz gewöhnlichen Platzes mit einem unansehnlichen Bahnhofsgebäude, wie es sie auch in Berlin, Wien und anderen Städten gab. Neben unserem Bahnhof stand noch ein Gebäude von ganz ähnlichem Aussehen und wohl auch für denselben Bestimmungszweck gedacht. Es handelte sich um einen weiteren Bahnhof. Der Hauptmann wollte telefonieren, „damit man einen Wagen schickte“, und wir gingen in der Zeit mit dem Sergeanten auf dem Paltz spazieren. Wir betraten den anderen Bahnhof, von dem aus der Sergeant seine Weiterreise antreten sollte. Inzwischen traf dort ein Zug ein. Die herausströmende Menschenmasse überrannte uns dermaßen, daß wir einander aus den Augen verloren. Vom allgemeinen Menschenstrom davongetragen gelangte ich irgendwie nach draußen auf den Platz. Bald darauf tauchte auch der Sergeant auf, der es ernsthaft mit der Angst zu tun bekommen hatte. Der Hauptmann stand in geringer Entfernung und winkte uns zu.

Ich blickte mich auf der Suche nach dem „Wagen“ um. Anstelle des geplanten MK, oder schlimmstenfalls eines Lastwagens, erblickte ich einen kleinen Planwagen.Daneben stand irgendein Beamter, der die gleiche blaue Schirmmütze trug wie Leutnant Nowitschkow. Er öffnete hinten eine kleine Tür. Dort stand ein Sitzbänkchen, auf der ungefähr zwei Personen Platz fanden und ein tiefer Schrank mit Türen und einem einzelnen Sitzplatz. Der Beamte wollte mich in dem Schrank verstauen, aber der Hauptmann schob ihn beiseite, und wir setzten uns auf die Bank. Der Sergeant blieb draußen stehen. Unterwegs blickte ich durch das kleine Fensterchen auf die Straßen Moskaus die bei mir den Eindruck einer gewissen Provinzhaftigkeit erweckten, wenn ich sie mit der klaren Architektur Wiensoder der monumentalen Farblosigkeit Berlins verglich. Schließlich fuhren wir auf einen Hof und gelangten dann über irgendwelche Korridore in ein Gebäude. Man ließ mich warten, während der Hauptmann losging, um ein Telefonat zu führen. Danach tauchte er nicht mehr auf, und an seiner Stelle kam ein mürrischer Hauptfeldwebel mit blauer Schirmmütze; er forderte mich auf, mit ihm zu kommen, und führte mich durch eine Reihe von Korridoren und Verbindungsgängen ... in einen Baderaum. Ich war ein wenig verblüfft, denn ich hatte mich schon mehrere Tage nicht mehr gewaschen, so daß ich mich nun mit Vergnügen unter die warme Dusche stellte. Anschließend händigte man mir frische Wäsche sowie meine Oberbekleidung aus. Wie groß war meine Verwunderung, als ich entdeckte, daß sowohl an der Hose als auch an meinem Militärhemd – mit Ausnahme von ein oder zwei - sämtliche Knöpfe fehlten. Ich machte egenüber meinem mürrischen Begleiter meine Ansprüche in dieser Saxhe geltend. Aber er sah mich nur an, alls wäre ich der größte Dummkopf, und gab keine Antwort. Nachdem er mich noch durch ein paar weitere Labyrinthe geführt hatte, brachte er mich in etwas, was man ganz bestimmt nicht als Raum bezeichnen kann. Es handelte sich um eine Art Schrank, ohne Fenster und einer Größe von etwa 1 x 1 Meter. Die Schrankwände waren mit einer grünlichen Ölfarbe gestrichen. In der Mitte stand ein einziger Hocker. Der Riegel knirschte, und ich blieb zurück – wie eine Maus in der Falle. Nach einer gewissen Zeit öffnete der Aufseher die Tür und verlangte, daß ich meine Stiefel ausziehen sollte. Ich gehorchte aufs Wort, denn ich wollte keinen Streit vom Zaum brechen. Während ich im Schrank saß hörte ich, wie mein Schutzelengel hinter der Tür schnaufte und mit irgendetwas herumklapperte. Danach öffnete sich die Tür und meine Stiefel flogen mir vor die Füße. Ich nahm sie auf und entdeckte mit Verwunderung, daß aus den Schuhsohlen zwei Nägel mit Spikes herausgezogen worden waren, mit denen deutsche Armeestiefel üblicherweise versehen wurden. Ich weiß nicht, wieviel Zeit verrann, aber irgendwann wurde die Tür erneut aufgerissen und man führte mich wieder irgendwohin; wir fuhren mit einem Fahrstuhl nach oben, der Mann, der mich begleitete, schnalzte fürchterlich mit der Zunge und brachte mich schließlich in ein geräumiges Kabinett, wo an einem Tisch ein fülliger Major saß, der mit verschlafenen Augen aus einem gleichgültigen gesciht blickte. Der Major begann die mir bereits bekannten, standarmäßigen Fragen zu stellen und notierte sich sogleich meine Antworten. Niedergeschlagen von meinen ersten Eindrücken und angesteckt von den verschlafenen Manieren des Majors, antwortete ich einsilbig und ebenfalls gleichgültig auf seine Fragen und unterschrieb anschließend, ohne noch einmal einen Blick darauf zu werfen, das Protokoll. Dann wurde ich wieder irgendwohin gebracht, und ich fand mich in einem langen Korridor wieder, der mit einer Vielzahl gleich aussehender Türen zu beiden Seiten ausgestattet war. Der Aufseher, wieder einer mit blauer Schirmmütze, der mich hier in Empfang nahm, öffnete sogleich eine der Türen und schon stand ich wieder, diesmal allerdings in einem größeren, Schrank, an dessen Längsseite sich eine an der Wand befestigte Sitzbank befand. Ein Fenster gab es nicht. Über der Tür brannte eine Glühbirne. Genau wie in dem „Appartement“ zuvor, waren die Wände auch hier graugrün gestrichen – in einem recht hellen Farbton. Übermüdet von all den merkwürdigen Eindrücken des vergangenen Tages setzte ich imich auf die Bank und versuchte, mich an meine Umgebung ein wenig zu gewöhnen. Es gab keinerlei Schriftzeichen oder eingeritzte Buchstaben, alles war ganz still, nur aklirrte ab und an irgendwo ein Türriegel. Die Gedanken gerieten durcheinander, und mit meiner zugrunde gerichteten Seele legte ich schließlich meinen Mantel auf die Bank und legte mich nieder. Aber es war noch keine Minute vergangen, als die Tür geöffnet wurde und der Aufseher mir befahl mich aufrecht hinzusetzen. Ich gehorchte. 5 – 10 Minuten später flackerte die Glühbirne einige Male. Ich blieb sitzen und starrte stumpfsinnig an die nackte Wand. Erneut knirschte das Schloß. „Warum legst du dich nicht hin?“ fragte der Aufseher. „Sie haben mich doch selber aufstehen lassen“, - erwiderte ich. „Aber jetzt sollst du dich hinlegen“ – antwortete der Aufseher, schloß die Tür wieder zu und ließ mich voller Zweifel allein zurück. Lange Zeit konnte ich nicht einschlafen. Da bin ich also wieder im Gefängnis, und wie es aussieht – ohne Hoffnung. Aber es ist wenigstens gut, daß ich allein bin und nicht in Gesellschaft von irgendwelchen Einbrechern oder Mördern, die nch meiner Vorstellung alle diejenigen waren, die in derartigen Einrichtungen ihre Strafe absaßen. In Bulgarien hatte ich manchmal hinter den vergitterten Fenstern die bösartigen Gesichter mit den kahlgeschorenen Köpfen oder den gestreiften Käppchen darauf gesehen, und stets hatte mich das gruselige Gefühl von etwas Geheimnisvollem, Schrecklichem ergriffen, das hinter den Mauern des Gefängnisses vor sich ging. Mit diesen düsteren Gedanken schlief ich endlich ein. Plötzlich wurde ich geweckt; wieder führte man mich aus der Zelle, über denselben Korridor. Wieder klirrte ein Schloß, und ich befand mich in einem großen Zimmer, in dessen Mitte ein Tisch mit Bänken stand. Links vom Tisch, auf einer eisernen Bettstelle, schließ ein Mann, der sich bei meiner Ankunft erhob, auf die Ellbogen stütze und mich ansah. Der Mann war nicht mehr jung, blaß und hager, mit schwarzem, nach ukrainischer Art nach unten gebogenem Schnurrbart. Mit voller Stimme begann er mich auszufragen, wer ich sei und woher ich käme, aber der Aufseher brüllte ihn an; der Mann sagte: „Na schön, leg dich erstmal schlafen, wir reden morgen miteinander“. Man brachte mir Bettzeug, keine schneeweißes, aber immerhin frisch gewaschenes, und ich legte mich schlafen, wobei ich allerdings mit Vorsicht zu meinem Nachbarn hinüberblickte und dabei in Gedanken abwägte, ob er wohl ein Räuber oder eher ein Mörder sei. Am nächsten Morgen machten wir uns miteinander bekannt. Er war einer der hervorragenden Leute, die eine tiefe Spur in meinem Leben zurückließen, weil er für mich bis zu einem gewissen Maße zum Musterbeispiel für Treue und Aufrichtigkeit gegenüber militärischer Pflichterfüllung und Überzeugung wurde. Ich sollte mit ihm in der Folgezeit 8 Monate Seite an Seite verbringen.

 

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